Hast du diesen Satz auch schon einmal gehört? Welcher Künstler hat das nicht. Aber ist das wirklich ein Lob? Oder versteckt sich hinter dem vermeintlichen Kompliment doch etwas ganz anderes?
Schon sehr früh in meiner Entwicklung zum Künstler habe ich mich mit dem Begriff „Talent“ nicht sonderlich wohlgefühlt. Ich glaubte zu verstehen, dass mir jemand ein Kompliment damit machen wollte. Aber immer habe ich erwidert, das ist kein Talent, sondern das Ergebnis von viel Üben und Arbeit.
Aber ein bisschen Talent muss man schon dazu haben.

Um des lieben Friedens willen habe ich dann oft zugestimmt. Aber in mir drinnen regte sich da immer Widerstand und Unwohlsein. Aber warum? Ich hab es schließlich herausgefunden.
Ganz hart formuliert, ist der Satz ‚Du hast aber Talent‘ eine Beleidigung! Boah, jetzt ist es raus!
Die Person, die dir das sagt, wäre ja auch gerne kreativ, aber sie hat halt kein Talent. Deswegen kannst du das, weil du Talent hast, sie aber nicht. Das bedeutet, dass du etwas geschenkt bekommen hast, denn Talent kann man nicht erlernen. Man hat es von Kindesbeinen an. Kein Talent? Pech gehabt!
Um es noch einmal ganz krass zu formulieren: Die Person, die dich als talentiert bezeichnet ist neidisch, weil du Talent hast. Und da kannst du hundertmal sagen, das ist harte Arbeit und Übung, das ändert nix an der Tatsache. Du hast Talent und ich nicht. Ich bin beleidigt mit dem Universum und bin neidisch!
Ich sage dann immer gerne den (angepassten) Satz von Thomas Alva Edison:
Kunst ist 10 % Inspiration und 90 % Transpiration

Natürlich muss ein gewisser Drang dazu vorhanden sein, sein Innenleben durch Zeichnungen oder Farbe ausdrücken zu wollen oder gar zu müssen. Bei Kindern ist dieser Drang ebenso vorhanden, wie der natürliche Bewegungsdrang. Das ist aber kein Talent. Wenn wir erwachsen werden, geht uns dass nur leider verloren oder wird und ausgetrieben. Ich selbst habe diesen Drang, mich zeichnend auszudrücken mit ca. 45 Jahren wieder entdeckt. Der Grund dafür war allerdings nicht so lustig, darüber werde ich vielleicht später einen eigenen Artikel schreiben.
Da ja jedes Kind sich mit Farben ausdrückt, kann das auch jeder Erwachsene wieder erlernen. Bedauerlicherweise haben viele Erwachsene aber noch den Kunstunterricht aus der Schule in den Knochen und im Hinterkopf. Der Lehrer gibt ein Thema sehr vage vor und die Schüler setzen ihre Version davon um. Was dem Lehrer nicht gefällt, bekommt eine schlechte Bewertung. Das war früher einfach so. Dazu kommt noch das schlechte Material, mit dem wir arbeiten mussten. Deckfarben und Malblöcke mit 80 g/m². Das kann ja nicht gutgehen.
Ich musste bei meinen eigenen Kindern vor 20 Jahren erleben, dass sich daran auch nicht viel geändert hat. Da ist es doch nur logisch, dass viele Erwachsene sagen ‚Ich kann das nicht‘.
Aber das Ganze auf Talent zu schieben, finde ich falsch. Damit hat es nichts zu Tun. Ich hatte nur vielleicht Glück im Kunstunterricht, dass ich den Geschmack des Lehrers getroffen habe (Habe ich im übrigen fast nie geschafft!)
Also bitte, wenn du mich das nächste Mal beim Urban Sketching in der Stadt triffst, sagt mir bitte nicht, ich hätte Talent. Das ist nämlich kein Kompliment, sondern einfach nur Neid!
Dieser Text stellt ausschließlich meine persönliche Meinung dar und ist nicht durch wissenschaftliche Untersuchungen belegt.

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